Klimagefühle

Wie wir an der Umweltkrise wachsen, statt zu verzweifeln

von Lea Dohm/Mareike Schulze

Das Zeitalter des Anthropozän: Der abgeschnittene und entfremdete Mensch
In dem Buch Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung aus dem Jahr 2019 kritisiert Hartmut Rosa den Kapitalismus, der dazu beigetragen hat, dass der Mensch von sich selbst und seiner Umwelt entfremdet wird. Der Mensch beherrscht nun die Umwelt und nicht mehr die Umwelt den Menschen - das kennzeichnet das Zeitalter des Anthropozän, das dem Menschen jenes „(…) Gefühl von Abgetrenntsein von der Umwelt (…)“ (Dohm/Schulze, S.37) beschert. Die Moderne kennt viele Formen des Abgeschnitten-Seins: von sozialen Bezugspersonen durch falsch verstandene Individualisierung; von den eigenen Gefühlen und dem Glück, das durch gedankenlosen Konsum kompensiert wird, der die Klimakrise noch schlimmer macht, als sie eh schon ist. In der Konsumgesellschaft gilt das Prinzip des „Nie genug – bitte immer mehr“ und steht damit in einem harten Kontrast zu Lebensstilen des Minimalismus und der Nachhaltigkeit, die unser Planet Erde so dringend braucht, um sich zu erholen von den Strapazen, die wir Menschen ihm zugefügt haben. Bereits viele Jahre zuvor, nämlich in den 1950/60er-Jahren wird die Marketing-Orientierung unserer Gesellschaft vom Soziologen, Sozialpsychologen und Psychoanalytiker Erich Fromm in Vom Haben zum Sein als der psychischen Gesundheit des Menschen und der Gesellschaft als abträglich bezeichnet. Letzterer würde sich im Grabe umdrehen, wenn er sehen würde, dass bis heute viel geredet und wenig getan wird, um die psychische Gesundheit der Gesellschaft, in der wir zwangsläufig leben, wiederherzustellen. Ohne ein gesundes Mensch-Umwelt-Verhältnis ist Letzteres aber nicht zu erreichen.


Das Buch Klimagefühle als Fortführung der Tradition von H. Rosa & E. Fromm
Die Umwelt kann nicht heilen, wenn wir es als Gesellschaft nicht tun – das Buch Klimagefühle – Wie wir an der Umweltkrise wachsen, statt zu verzweifeln ist ein Appell an unsere Gesellschaft den Versuch des Wachstums hin zu mehr Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Minimalismus, Konsumreduzierung etc. zu unternehmen. Es steht damit in der Tradition der Werke von Hartmut Rosa und Erich Fromm, denn es plädiert dafür, dass der Mensch wieder zu sich kommt, um zu sehen, was er mit seinem Lebensraum anrichtet und in der Lage zu sein, aktiv dagegen zu steuern, anstatt vor überwältigenden negativen Emotionen in Lähmung zu verfallen (Dohm/Schulze, S.27). Jedes Kapitel des Buches thematisiert dabei ein
bestimmtes Klimagefühl (Angst, Ärger und Wut, Traurigkeit, Schuld und Scham, Neid etc.) und zeigt Übungen auf, wie man mit diesen Emotionen produktiv umgehen kann. Dohm/Schulze machen damit deutlich, dass Emotionen nicht nur individuelle Lebensentwürfe betreffen, sondern politisch sind, denn beispielsweise ohne die kollektive Wut auf ignorante Politiker:innen gäbe es Fridays for Future gar nicht: „(…) Wut und Ärger (…) sind damit vielleicht das wichtigste Antriebsmoment der Klimabewegung.“ (Dohm/Schulze, S.90) Neben einem produktiven Umgang mit Wut, müssen wir auch lernen mit unserer Schuld umzugehen, die wir durch die Umweltzerstörung auf uns geladen haben: Wie können wir uns verzeihen und uns in Zukunft besser verhalten? Dohm/Schulze schreiben, dass Schuldgefühle nur dann gesund sind, wenn sie zur Verhaltensänderung animieren, denn eine moralisierende Selbstanklage bringt niemanden weiter (S.153 - 154), insbesondere nicht die Klimaschutzbewegung (S.154). Neben den Klimagefühlen informiert das Buch auch zum Beispiel über den CO2 - Fußabdruck und den CO2 – Handabdruck. Weiterhin zeigt es wie es uns Menschen leichter fallen könnte weniger zu besitzen ohne dabei neidisch zu werden (S.162ff.). Neid sei nach den Autorinnen aber nicht rein negativ zu verstehen, sondern könnte im Hinblick auf Klimaschutz auch dazu anregen sich umweltschonender zu verhalten, wenn man bei anderen Menschen sieht, dass diese es bereits erreicht haben und man selbst noch nicht (S.165). Es ist schlussendlich eine Frage der Perspektive. Dohm/Schulze betonen, dass man sich trotz der bedrohlichen Zukunftsvorstellungen, die man sich leicht macht, nicht verrückt lassen machen, sondern stattdessen eine positive Grundeinstellung bewahren sollte. Genau jener Optimismus der Autor:innen macht dieses Buch so lesenswert. Es ist jedem, dem die Gesundheit der Umwelt, unserer Gesellschaft und dem einzelnen Individuum am Herzen liegt, wärmstens empfohlen.

264 Seiten

Erschienen: 2022

Verlag: Knaur, ISBN: 978-3-426-28615-9

(Bericht: J. G.)

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